Advokatur Dr. Stefan Suter

Recht und Gerechtigkeit

Ethik

Ethik?

Von Dr. Stefan Suter

Der Begriff der Ethik hat in den letzten Jahren einen eigentlichen Aufschwung erlebt. Ethisches Verhalten wird von allen Gesellschaftsschichten, speziell aber auch von Führungspersönlichkeiten, gefordert. Regierungen setzen gar Ethikkommissionen ein und Grossfirmen, wie z.B. Banken, erlassen Ethikbestimmungen. Diese enthalten u.a. die Vorschrift, dass man sich an Gesetze halten müsse, was – soweit es sich nicht um menschenrechtswidrige Gesetze handelt – eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist und mit erhabenen ethischen Grundsätzen nur dann etwas zu tun hat, wenn man das Niveau tief ansetzt.

Bereits die griechischen Philosophen beschäftigten sich mit der Ethik als eigene Disziplin, die u.a. nach dem richtigen Handeln und der Freiheit des Willens fragte.

Warum ist aber die Ethik in den letzten Jahren aus dem Elfenbeinturm der philosophischen Wissenschaft herausgetreten und scheint in der europäischen Gesellschaft vor, besonders praktischer Bedeutung geworden zu sein? Die traditionellen Ethiker sind sich darin selbst uneins, denn sie möchten lieber über die Ethik nachdenken, als ethische Regeln aufzustellen. So ist etwa darauf hingewiesen worden, dass die Ethik nicht Moral sei, sondern über Moral rede (Annemarie Pieper, Einführung in die Ethik, 5. Auflage S. 24). Ethik fälle nicht moralische Urteile. Diese Auffassung entspricht ganz dem Zeitgeist, denn der sich für frei haltende Zeitgenosse möchte gerade nicht von moralischen Geboten und Verboten eingeschränkt werden.

Gleichwohl dürfte der Sinn der die Regierung beratenden Ethikkommissionen oder gar Professuren für Wirtschaftsethik gerade nicht nur daran liegen, über Moral nachzudenken, darüber zu sprechen und darüber zu schreiben. Ziel einer Ethikkommission ist es, den Regierenden ethische Werte aufzuzeigen. Dies setzt im Grunde moralische, d.h. sittliche Grundansichten voraus, über die die Ethiker gerne nachdenken wollen, die sie aber nicht wirklich festlegen können. Dies führt dazu, dass etwa der traditionell christliche Ethiker eine Abtreibung oder Sterbehilfe als unethisch verwerfen wird, währenddessen ein sich stärker am individuellen Willen inspirierter Ethiker dies zulassen wird.

Das Nachdenken über die Moral und darüber zu sprechen ist als philosophische Disziplin sehr interessant, bringt aber für konkretes Handels nichts, da gleichwohl die Ansichten über Moral entscheidend sind. Beim Wirtschaftsethiker ist dies nicht anders, weil er entweder seine eigenen hergebrachten Vorstellungen über Wirtschaft sowie in einem jüngsten Fall über Steuerhinterziehung einbringt und dann aber sofort moralisch und daraus folgend politisch argumentiert, was die Ethiker als philosophische Wissenschaftler gerade negieren.
Warum ist es aber gleichwohl zum Aufschwung der Ethik als scheinbare Hilfe für praktische Rechtsetzung, Ausbildung und Gesetzgebung gekommen? Offensichtlich besteht der Wunsch von Regierungen, aber auch von Führungspersonen in der Wirtschaft, ihre Entscheidungen auf irgendeine Weise ethisch anzubinden. In früheren Zeiten hatten Führungspersonen keine Skrupel, offen auszusprechen, dass sie ihre Entscheidungen wirklich moralisch begründen. Etwa gestützt auf ein christliches Weltbild, eine sozialistische Gesellschaftsvorstellung oder frei denkende liberale Ideen. Solche Bindungen sind zwischenzeitlich und verstärkt seit dem Ende des Kommunismus praktisch tabu. Es ist deswegen kein Zufall, dass der schwindende Einfluss der christlichen Kirchen zu einer verstärkten Einführung von Ethik-Räten und -kommissionen führte.

Letztere sind aber mit dem Problem konfrontiert, dass sie keine Antworten auf  gesellschaftliche Fragen geben können. Nach der eigenen Definition der Ethiker wollen sie die Probleme aufzeigen und hinterfragen, sie aber nicht moralisch werten.

Oft sind die Mitglieder Ethikkommissionen über fundamentale Fragen uneins (z.B. wann beginnt und wann endet das Leben, Stammzellenforschung etc.) und auch viele wirtschaftliche Fragen, welche über einen Basis-Standard des Rechts hinausgehen (Treu und Glauben, Vertragsfreiheit, Vertragstreue) sind letztlich den praktisch ethischen Überlegungen entzogen. Paradoxerweise haben gerade auch Ethiker aus theologischen Fakultäten an den Ethikkommissionen grosse Freude gehabt, da sie plötzlich zu einem scheinbar praktischen und wichtigen Amt gekommen sind. Es zeigt sich jedoch, dass Ethik als philosophisches Fach (das Nachdenken und Hinterfragen der sittlichen Werte)  nach wie vor von grosser Bedeutung ist und auch die entsprechenden fachlichen Überlegungen nicht zu missen sind. Als praktische, von der Moral völlig losgelöste Denkanstalt für Recht und Wirtschaft taugt die Ethik, insbesondere aber ihre Kommissionen, nicht.

Basel, 08. April 2010