Advokatur Dr. Stefan Suter

Recht und Gerechtigkeit

Diktatorengelder

Diktatorengelder

Von Dr. Stefan Suter

Nach dem Sturz des tunesischen Präsidenten Ben Ali hat der Bundesrat sofort entschieden, dessen Vermögenswerte in der Schweiz zu blockieren. Kritik gegen dieses Vorgehen ist naheliegenderweise mit Ausnahme direkt betroffener tunesischer Personen in der schweizerischen Öffentlichkeit oder im Ausland nicht aufgekommen. Dies ist verständlich. Die Beschlagnahme von Vermögenswerten von Diktatoren, die Regimegegner ins Gefängnis werfen und die Meinungs- und Versammlungsfreiheit nicht beachten, ist nachvollziehbar.

Die Wegnahme von Geldern, die eine Person illegal erworben hat, entspricht ohnehin unserem Rechtssystem. Auch ein Dieb oder Betrüger kann das illegal erworbene Geld nicht behalten. Die internationalen Verhältnisse sind allerdings komplizierter. Beachtenswert ist, dass die Blockierung und Einziehung von Diktatorengeldern hauptsächlich ethisch begründet wird. Was die Potentaten in rechtswidriger Weise ihrem Volk genommen haben, soll wieder dorthin zurückfliessen. Um diesen moralischen Massstäben gerecht zu werden, sollen aufgrund eines neuen Bundesgesetzes (RuVG) Vermögenswerte selbst dann gesperrt werden, wenn der ausländische Staat kein Rechtshilfeersuchen einreicht. Eine solche Sperrung kann 10 Jahre dauern und das eidgenössische Finanzdepartement kann beauftragt werden, beim Bundesverwaltungsgericht Klage auf Einziehung dieser Vermögenswerte einzureichen. Es gilt sogar die Vermutung, dass Vermögenswerte unrechtmässig erworben wurden, wenn das Vermögen der Person im Zusammenhang mit der Ausübung des öffentlichen Amtes ausserordentlich stark gestiegen ist und der Korruptionsgrad des Herkunftsstaates oder der betreffenden politisch exponierten Personen während deren Amtszeit anerkanntermassen hoch war. Diese Beweislastumkehr wurde offensichtlich geschaffen, um gegen das von Diktatoren geschaffene Unrecht vorzugehen.

Nach dem Putsch

Interessanterweise werden sowohl Blockierung als auch Einziehung faktisch an den Sturz eines Potentaten gekoppelt. In allen bisherigen Fällen wie etwa Duvalier aus Haiti, Mobutu aus Kongo, Abacha aus Nigeria etc., wurden von der Schweiz Massnahmen eingeleitet als die Diktatoren ihre Macht verloren hatten. Auch das jüngste Beispiel des tunesischen Präsidenten Ben Ali zeigt, dass sich die hiesigen Behörden zur Beschlagnahme von Konten erst stark fühlten, als Ben Ali sein Land verlassen musste. Die Illegalität der Vermögenswerte scheint somit in direktem Zusammenhang damit zu stehen, ob der Diktator noch an der Macht ist oder bereits weggeputscht wurde. Das Geld Ben Alis war dem Bundesrat so lange keine Blockierung wert, als jener in Amt und „Würde“ in Tunesien regierte. Verliert ein Potentat diese Macht, so wird auch dessen allfälliges Geld in der Schweiz als illegal erworben vermutet.

Die Interessen des Landes

Die hohen ethischen Werte, welche mit einer Beschlagnahme öffentlich zelebriert werden, bröckeln in sich zusammen, denn es wird sofort augenfällig, dass man im Grunde nicht gegen einen Diktator vorgeht, sondern sich gegenüber dem neuen Regime beliebt machen will. Jedes Missfallen gegenüber den neuen Herrschern soll verhindert werden, wobei anzufügen ist, dass auf einen Gewaltherrscher oft ein Diktator einer anderen Sippe folgt. Eine einzige Bestimmung des Bundesgesetzes (RuVG) in Art. 2 lit d. bringt den Kern der Wahrheit auf den Punkt, dass nämlich die Wahrung der schweizerischen Interessen die Sperrung der Vermögenswerte nötig macht. Tatsächlich geht es bei der Blockierung solcher Gelder um die Interessen der Schweiz. Dies ist ein legitimer Beweggrund – mehr aber nicht.

Annahme der Gelder durch die Banken

Man mag einwenden, dass die Banken Gelder von Potentaten gar nicht annehmen durften, wobei allerdings darauf hinzuweisen ist, dass die Illegalität der erworbenen Vermögenswerte keinesfalls so leicht festgestellt werden kann. Es sei denn, man vermute bei jedem grösseren Vermögenswert Rechtswidriges. Die Problematik zeigt z.B. die Konstellation des im März 2009 in Madagaskar gestürzten Präsidenten Ravalomanana. Jener war demokratisch zum Präsidenten gewählt worden, hatte aber dann damit begonnen, zahlreiche Bereiche der Privatwirtschaft unter seine Kontrolle oder derjenigen seiner Angehörigen zu bringen. So beherrschte er nicht nur die gesamte Milchwirtschaft des Landes. Ihm gehörten auch die bedeutendsten Baufirmen, TV-Stationen sowie zahlreiche Importfirmen. Die Konkurrenz wurde ausgeschaltet. Die in diesen Firmen erwirtschafteten Beträge waren formell legal in jene Gesellschaften und somit auch zum Eigentümer geflossen. Die Anstössigkeit bestand somit nicht im direkten Geldzufluss, sondern in der Ausschaltung von Konkurrenz und Monopolisierung. Der Ertrag stattdessen liess sich mittels Erfolgsrechnung und Bilanzen, die womöglich von internationalen Treuhandfirmen revidiert wurden, belegen. „Moderne“ Diktatoren müssen sich nicht mehr damit begnügen, aus der Staatskasse Gelder zu entnehmen und dies zeigt die Schwierigkeit auf, ihnen das Handwerk zu legen bzw. Ihnen eine Illegalität nachzuweisen.

Das Gesetz über die Rückerstattung unrechtmässig erworbener Vermögenswerte macht es sich da einfacher. Praktisch alle Vermögenswerte, die irgendwie mit einer Person öffentlicher Funktion im Ausland zusammenhängen, können blockiert und allenfalls gar eingezogen werden. Aber, auch wenn dieses Gesetz scheinbar mutig daherkommt, es ist faktisch an einen Putsch und damit Machtverlust gebunden.

Ethische Massstäbe

Laut Art. 8 RuVG soll die Rückerstattung der beschlagnahmten Diktatorengelder die Lebensbedingungen der Bevölkerung im Herkunftsstaat verbessern. Ob diese moralisch hohen Anforderungen in einem fernen Land mit neuen Machthabern durchzusetzen ist, bleibt mehr als fragwürdig. Wenn die neuen Machthaber ein korrektes Rechtshilfeersuchen – zum Teil mit schweizerischer Hilfe – stellen, werden sie das Geld in der Regel in die Staatskasse zurückbekommen und dann nach eigenem Gutdünken verwenden können.

Falls kein Rechtshilfeersuchen eingeht, ist es kaum möglich, korruptionsfrei der armen Bevölkerung jenes Landes die beschlagnahmten Potentatengeldern zuzuführen. Gegen die dortigen neuen Machthaber, die beispielsweise während 10 Jahren kein Rechtshilfeersuchen gestellt haben, dürfte die Geldverteilung bei den Armen nicht durchsetzbar sein.

Gebühren

Die Blockierung und vorgesehene Rückführung der Potentatengelder hat nur sehr wenig mit sozialem Engagement zu tun. Dies gilt umso mehr, als gemäss Art. 10 RuVG den Behörden erlaubt wird, bis 2.5% der eigenen Vermögenswerte zu Gunsten des Bundes oder der Kantone einzuziehen. Auch wenn eine solche Einziehung einen gewissen administrativen Aufwand erfordert, gehen offensichtlich diese Verwaltungsgebühren den Ansprüchen der Hungernden, Kranken und Unterdrückten, denen das Geld vom Diktator ja offenbar genommen wurde, vor. Eine Rückführung der Vermögenswerte ist übrigens gemäss Art. 7 lit a. RuVG auch nicht möglich, wenn die schweizerischen Behörden daran Rechte geltend machen. Eine etwaige Steuerforderung gegen den gestürzten Diktator würde also der Rückführung zu Gunsten der Entrechteten vorgehen.

Fazit

Die Wahrnehmung der Landesinteressen der Schweiz ist berechtigt, aber es ist offensichtlich verpönt, solche Begriffe zu verwenden, denn sie erinnern eher an die Rhetorik der Kriegs- und Nachkriegszeit. Es macht sich besser, moralisch und sozial zu argumentieren und die Gesetze entsprechend aufzupolieren. Besser wäre es, von den Fakten auszugehen wie sie sind. Die Beschlagnahme von Vermögenswerten erst nach (oder eventuell kurz vor) einem Putsch hat jedenfalls mit einem Engagement für die Verbesserung der „Lebensbedingungen der Bevölkerung im Herkunftsstaat“ (Art. 8 lit. a. RuVG) nur sehr beschränkt etwas zu tun.

Basel, 03. Februar 2011